Das neue Normal: Ich kann Sie sehen, aber nicht hören
Meetings, Seminare und andere Events im virtuellen Raum
Ortsunabhängig, technikorientiert
In Singapur oder Kleinottweiler, mit Jogginghose und Business-Outfit, im Wohnzimmer oder im Zug: das Einzige, was der Mensch braucht, um sich jederzeit und an jedem Ort mit Geschäftspartnern und Kolleg*innen Face to face auszutauschen, ist eine stabile Internetverbindung, ein Smartphone und ein grundlegendes technisches Verständnis. Auch wenn COVID-19 die Digitalisierung im Business-Umfeld beschleunigt hat, so sind die ersten Kontaktaufnahmen – mit Technik und anderen Menschen hinterm Bildschirm – noch etwas holprig. Plötzlich war der Steg zu Ende und wir mussten ins kalte Wasser springen und haben schließlich durch Learning by doing schwimmen im digitalen Zeitalter gelernt.
Allein ein einfaches Video-Meeting zum Laufen zu bringen, sodass alle Teilnehmer*innen die gleiche Startposition haben, ist hin und wieder amüsant. Das Warm-Up mit der Technik wie An- und Ausschalten, Login/Logout, Kamera ausrichten, Sound- und Videotesten ersetzt die Small-Talk-Aufwärmphase – nie kann man Menschen besser kennenlernen als in solchen (leichten) Stress-Situationen mit technischem Equipment (vgl. andere Technik-Erlebnisse wie „Der Drucker druckt nicht“, „… die PowerPoint-Präsentation lässt sich nicht mehr öffnen“, „Die Kaffeemaschine braucht 12 Minuten für einen Espresso …“). Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass wir alle altersunabhängig und in nahezu allen Dienstleistungsbranchen in den Bereichen Online-Kollaboration, -Seminare und im virtuellen Event-Bereich in den letzten 3 Monaten Riesenschritte und wertvolle Lernerfahrungen gemacht haben.
Um allerdings Pannen und Verzögerungen für aufwändigere Online-Events zu vermeiden, lohnt sich ein Blick auf die Checkliste am Ende. Ein durchdachtes Konzept, durch das der Veranstalter einen professionellen und vertrauenswürdigen Eindruck vermittelt und die „Zuschauer*innen“ vor dem Bildschirm hält, ist also eine notwendige Basis. Gerade im sehr komplexen Themenspektrum rund um Erneuerbare Energien geht es darum, Expertenwissen und spezifische Informationen für Privathaushalte, Kommunen und Unternehmen gut aufzubereiten und auf interessante Art und Weise weiterzugeben.
Energieberatung online?
Bislang war die Energieberatung wie viele Beratungsgespräche ein vorwiegend bilaterales, sehr persönliches Erlebnis: möglichst auf die Bedürfnisse des Ratsuchenden zugeschnitten, am Wohnzimmertisch, auf dem dörflichen Marktplatz oder in einem Kundencenter. Die klassische „Live“-Beratung z.B. zu passenden Energie-Effizienzmaßnahmen öffentlicher Gebäude, der besten Heiztechnologie für die Schwiegereltern und ob eine Solaranlage auf dem Hausdach wirklich wirtschaftlich ist, ist nach wie vor unentbehrlich. Denn Menschen sind soziale Wesen und brauchen den persönlichen Kontakt. Aber neben analogem 4-Augen-Gespäch und der Video-Kommunikation werden auch Mischformen, sog. Hybrid-Ansätze mehr Anklang finden.
Informationsaustausch und Wissenstransfer zu gesetzlichen Regularien, Zuschussprogrammen, technischen Neuerungen, Produktentwicklung und Markttrends lassen sich jedoch in Form von Online-Seminaren, virtuellen Workshops und selbst als Live-Podiumsdiskussionen wirksam und professionell per Stream abbilden, mit höherem Nutzen für mehr Menschen. Wissen teilen ist ohnehin ein sinnvoller Trend im Zeitalter der (digitalen) Informationsgesellschaft, der Open Sources, der Schwarmintelligenz: Je mehr Menschen sich zu einem Energiethema, sei es zu Wärmepumpentrends, Förderprogrammen oder Energieeffizientem Sanieren informieren, desto besser schärfen sich Wissensgrad und Sensibilisierung für das Thema Klimawende und Klimaschutz. Man kann sich einen Vortrag mehrmals anschauen und dann auch wiederum andere darauf aufmerksam machen – dank des Teilen-Buttons oder indem man einen Link versendet.
Neben dem Reichweite-Effekt ist auch der Zeitfaktor ein großer Pluspunkt: Organisieren und Mieten von Räumen, Recherche und Bestellung des Caterings, Auto- oder Zugfahrten, Get-together bei Live-Events, diese und noch mehr Faktoren entfallen im Online-Meeting-Space. Netzwerken passiert ohnehin multimedial und cross-channel – im echten Leben bei Scampi-Spießen wie auf XING, LinkedIn und in anderen Social-Media-Kanälen.
Das machen sich Akteure aller Couleur zu Nutze. Die Online-Event- und Meeting-Szene weitet sich branchenübergreifend und grenzüberschreitend aus: Um nur einige Beispiele aus den letzten 12 Wochen zu nennen – da fanden die regionale Buchmesse Saar, der UNESCO-Welterbetag oder die ENERGIETAGE 2020 rein digital statt.
Auch die jährliche Aktionswoche der Landeskampagne Energieberatung Saar wird dieses Jahr zum ersten Mal (auch) online stattfinden. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr und seine Kooperationspartner, die Verbraucherzentrale des Saarlandes und die saarländischen Energieversorger sind bereits in der Vorbereitungsphase. Die Verantwortlichen denken über verschiedene Veranstaltungsarten im digitalen Raum und zeitgemäße Informationsangebote rund um Energie, Wärme und Mobilität nach, um viele Menschen für das Energiewende-Projekt zu interessieren und zum Mitmachen zu motivieren. Im unendlichen WWW bieten sich dafür unendlich viele Möglichkeiten.
Fluch und Segen – alles ist möglich
Der virtuelle Raum lässt viele Formate zu: z.B. informative Fachvorträge für eine Personengruppe gleicher Interessenslage, den persönlichen, privaten Dialog im Video-Chat, Team-Meetings für 100 und mehr Teilnehmer*innen, Versammlungen für bis zu 2.000 Personen, moderierte Seminare oder Experten-Fragestunden für eine begrenzte Anzahl von Menschen mit speziellem Informationsbedarf. Man unterscheidet vereinfacht gesagt zwei grundsätzliche Formate. Version 1: Einer spricht, die anderen hören zu. Mit entsprechendem Equipment und personellem Aufwand lassen sich so Pressekonferenzen, Exkursionen, Online-Vorträge, E-Learning umsetzen. Die zweite Variante gehört inzwischen Corona-bedingt zum neuen normalen Arbeitsalltag: Remote-Working, sprich dezentrales Arbeiten vom Homeoffice oder einem anderen Arbeitsort. Mit den passenden Software-Lösungen können alle Teilnehmer*innen miteinander sprechen und sich einbringen – das ist nichts anders als die Transformation der klassischen Besprechung in den digitalen Raum, in dem auch mit mehreren Personen Kollaboration wie virtuelle Workshops möglich ist. Wichtig ist, Kommunikationsregeln aufzustellen, einen Moderator festzulegen, stummschalten und Video ausblenden sind manchmal ganz hilfreich.
Der Markt der technischen Anbieter für beide Kommunikationsformen ist enorm gewachsen und hat noch Potenzial. Zu den Klassikern zählen Microsoft mit Skype für Unternehmen, Google Hangouts, Facetime, Adobe Connect, GoToMeeting, Zoom, Hangout und Microsoft Teams. Fast alle bieten Abonnement- und Preispläne für unterschiedliche Teilnehmerzahlen an, Zusatz-Features wie Desktop Sharing, Chat- und Kommentarfunktion, Umfrage- und Abstimmungstool, erweiterte Moderatorenrechte uvm. Aber es existieren auch Open Source Lösungen wie BigBlueButton, Jitsi, Riot oder RocketCat. Einige Anbieter wie Cisco Webex, BlueJeans, Lifesize Cloud, Pexip, Broadsoft, Vidyo arbeiten über Cloud-basierte Dienste und mit Hochleistungs-Kameras, sodass kostspielige hardwarebasierte Videokonferenzausrüstungen obsolet werden.

Es gibt Angebote, die öffentlich zugänglich sind und solche, zu denen man sich kostenpflichtig anmelden muss. Diese arbeiten mit einem Ticketsystem und einem automatisierten Teilnehmermanagement. Manche Veranstaltungen bestehen aus Themensessions, bieten verschiedene Time Slots oder sind als mehrtägige Events konzipiert. Das Charmante am digitalen Event- und Meeting-Kosmos ist die problemlose, naheliegende Verknüpfung mit Social Media … Inhalte können mehrfach genutzt werden, auf den entsprechenden Kanal und die jeweilige Zielgruppe adaptiert und haben einen höhere Nachhaltigkeit.
Digital = sustainable?
Was macht das mit der Energiebilanz? Wie passen Nachhaltigkeit und Digitalisierung des Arbeitsalltags und die zunehmende Video-/Online-Kommunikation zusammen?
Digitalisierung braucht Strom – für leistungsstarke Server, stabile Rechenzentren und natürlich auch für die Empfangsgeräte wie Smartphone, Tablet und Desktop-Computer. Deutsche Rechenzentren verbrauchten im Jahr 2018 14 Milliarden kWh Strom, das entspricht einem Zuwachs von 40% gegenüber 2010. Kritisch muss man auch folgende Zahl betrachten: 1 Stunde Video-Streaming produziert so viel CO2 wie 1 Kilometer Autofahren.
Im besten Fall sollte bei einem virtuellen (wie auch bei einem Live-) Event der Einsatz von Energie und Ressourcen so gering wie möglich sein. Man kann bei der Abgrenzung und Berechnung einen Blick auf jedes Detail werfen wie z.B. welchen und wie viel Strom verbrauchen technische Plattform, Veranstalter, Teilnehmer und deren Empfangsgeräte, wie viel Energie wurde für die Produktion dieser Geräte benötigt, wie lang ist deren Lebenszyklus, energetischer Aufwand für Bezahlvorgänge (sehr energieintensiv: Bitcoins) etc. Wichtig ist eine besonnene Haltung und der Blick über den Tellerrand beim Planen und Umsetzen digitaler Events, damit der Digitalisierungsboom in der Eventbranche zu mehr Klimaneutralität beitragen kann. Bereits beim Anforderungsmanagement, in der Entwurfsphase, ist der Blick auf Nachhaltigkeitsaspekte wichtig. Was bei der Transformation in die digitale Welt zweifellos nachhaltig ist: Kommunikation findet papierlos und ohne Druckfarben statt, durch reduzierten Luft- und Autoverkehr reduziert sich auch der CO2-Austoß.

Faktencheck2, 5
- Bereits in den 1870er Jahren entsteht die Idee, neben Ton auch Bild über Kabel zu übertragen.
- Den ersten Videoanruf initiierte der US-Konzern AT & T 1964 nach 10 Jahren Verbesserung auf der Weltausstellung in New York City. Es gab sogar in New York City, Chicago und Washington testweise sog. Öffentliche Bildtelefon-Kabinen, die allerdings 1968 wieder geschlossen wurden.
- 1988 entwickelt Mitsubishi ein Bildtelefon, das Sprache und ein S/W-Foto zeitversetzt senden kann.
- Die Europäische Organisation für Kernforschung CERN in Genf gab Webkonferenzen in den 90er Jahren mit seiner Software Virtual Room Videoconferencing System einen Extra-Schub, um die Zusammenarbeit der Forscher zu vereinfachen.
- Das technische System, mit dem Skype betrieben wird, haben von drei Software-Ingenieuren aus Estland entwickelt, ursprünglich für ihre nicht-legale Musik-Sharing-Plattform. Im Jahr 2003 kam die erste öffentliche Version von Skype auf den Markt.
- Der Begriff Webinar ist eine Wortneuschöpfung aus „Web“ und „Seminar“ und seit 2003 beim Deutschen Patent- und Markenamt als Wortmarke geschützt ist. Unbedachte Nutzung kann rechtliche Folgen wie Abmahnung haben kann
- Microsoft Teams verdoppelte die Zahl der User von Anfang März 2020 innerhalb von etwa 6 Wochen auf täglich 75 Millionen User. Der Zoom Meetings schrieb im unternehmenseigenen Blog von 10 Millionen im Dezember 2019 auf 200 Millionen im März 2020. Mittlerweile dürften es noch deutlich mehr sein.3
Checkliste für Online-Events4
- Basics und Technik: Referenten, Teilnehmerzahl, kostenfrei oder -pflichtig , Registrierung erforderlich, Anmeldemanagement, live oder Aufzeichnung übertragen, Auswahl Plattform
- Kommunikationsmöglichkeiten festlegen: Chat-, Abstimm-, Kommentarfunktion ermöglichen?
- Gute Organisation, detaillierte Ablaufplanung für reibungslose Übergänge zwischen den Sessions
- Moderation als Unterstützung des Speaker und technische Assistenz als Unterstützung des Moderators
- Testen vor dem Event: Funktionsfähigkeit der Technik, Ablauf Generalprobe
- Realistisches Budget einplanen: digital ist nicht günstiger als analog, empfehlenswert ist eine Investition in Pro-Services, um den Teilnehmern zwischen den Slots Raum für Diskussion und Networking zu bieten (spezielle virtuelle Umgebung)
- Technische Voraussetzungen, Equipment und Know-how: stabile Datenübertragung und Internetverbindung (Ruckeln!), professionelle Kameras und Mikrofone, evtl. ein Greenscreen, Technikassistenz, Drehumgebung ruhig, hell und geräumig
- Externe Expertise: komplett in Eigenregie personell und zeitlich aufwändig, wichtig ist auch technische Kompetenz, professionelle Unterstützung empfehlenswert

Zukunft der Meetings6
Zum Ende noch ein Ausblick auf mögliche Szenarien der Meeting-Branche, erstellt vom „Future Meeting Space“, dem Innovationsverbund von German Convention Bureau e.V., dem Europäischen Verband der Veranstaltungs-Centren e.V., dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und weiteren Partner aus Forschung und Wirtschaft. Future Meeting Space stellt hier mögliche Szenarien verschiedener Meetingformen vor.
Quellen:
1 https://www.twilio.com/covid-19-digital-engagement-report
2 https://www.linkedin.com/pulse/8-fun-facts-from-history-videoconferencing-paulo-cardoso/
https://methodshop.com/2014/11/video-conferencing-facts.shtml
3 https://computerwelt.at/news/vergleichstest-videokonferenzen-aus-der-cloud/
5 https://www.event-partner.de/business/digitale-veranstaltungen-im-nachhaltigkeits-check/